Vor 50 Jahren zeigte die gleichnamige Wirtschaftsstudie globale „Grenzen des Wachstums“ auf. Haben wir seither verinnerlicht, was die damals beschriebenen Zukunftsszenarien uns klar machen wollten? Welche Werte bestimmen, wie wir seither, heute und künftig handeln? Zwei Experten mahnten in einer Diskussion überfällige Veränderungen an. Und ich denke nach über Kommunikation und Erfahrungen.
Er könne sie nicht mehr hören, sagt Mojib Latif, Floskeln, die Menschen das Gefühl gäben, wir nähmen uns der Probleme unserer Misswirtschaft mit globalen Ressourcen an. In der Diskussion findet der Klimawissenschaftler trotzdem Energie und klare Worte, um überfällige Veränderungen anzumahnen und insbesondere die Politik zur Verantwortung zu ziehen. Dass wir uns der Probleme nicht wirklich annehmen, zeigt sich für ihn beispielhaft am Klimaschutz. Politik übe sich vielfach in Symbolhandlungen, meint Latif; „das Klima bleibt dabei doch immer auf der Strecke.“ So dass er sich ernsthaft frage: „Ist die Menschheit überhaupt lernfähig?“
Aufklärung durch Wissen?
„Die Menschheit ist kein handelndes Subjekt“, sagt dazu Transformationsforscher Harald Welzer. Auf individueller wie gesellschaftlicher Ebenen seien Wissen und Handeln nur „in Grenzfällen miteinander verknüpft“. Dass wir uns und damit unsere Umwelt trotz besseren Wissens weiter zum Negativen verändert haben, liege am Wirtschaftssystem: „Es baut allein auf Wachstum und steht von seiner eigenen Bewegungsform gegen jegliche Wirkung, die die Studie [des Club of Rome] hätte haben können.“ Auch unsere Kultur sei in jeder Facette auf Wettbewerb und Steigerung ausgelegt. „Das ändern wir nicht durch Wissen“, ist Welzer überzeugt. „Hier ist eine Grenze der Aufklärung erreicht.“
„Wir leben im falschen System“, sagt auch Mojib Latif mit Blick auf die Wirtschaft. „Nachhaltig gefertigte Produkte sind immer teurer als nicht nachhaltig gefertigte.“ Harald Welzer erklärt, warum das so sein kann: „Wir zahlen nicht den wahren Preis, der auch die Umweltzerstörung berücksichtig, den ein Produkt verursacht.“ So komme es, dass wir ständig über die Verhältnisse lebten, und zwar nicht unsere eigenen: „Wir leben über die Verhältnisse anderer Menschen, die an anderen Orten der Welt leben, der Jüngeren und der noch gar nicht Geborenen.“
Mit Blick auf das Klima müsse uns klar sein, dass Dekarbonisierung allein nicht ausreiche, um den Zerstörungsprozess zu stoppen, sagt Welzer. „Wir müssen aufhören, nach niedlichen Lösungen zu suchen!” Die Studie von 1972 habe einen Pfadwechsel gefordert, für den Jahrzehnte lang Zeit gewesen wäre. Aber: Wir haben ihn nicht geschafft. „Es ist eine Lebenslüge, dass ein bisschen drehen an CO2-Emissionen den Pfad verändern könnte.“
Welzer fragt sich: „Ist der Kapitalismus ökologisch reformierbar?“ – gibt es so etwas wie einen ökologisch verträglichen, vertretbaren Kapitalismus? Wahre Preise auszuzeichnen wäre ein erster Schritt. „Sie würden einen anderen Rahmen für unternehmerisches Handeln setzen“, sagt Welzer. Die Idee von ökologisch korrekten, sozial fairen Warenpreisen vertritt unter anderem der Umweltwissenschaftler und Mitglied des Club of Rome Ernst Ulrich Michael Freiherr von Weizsäcker und es gibt verschiedenen Ansätze, sie zu berechnen. Die Wirtschaft aber verweigert sich an vielen Stellen Veränderungen des bestehenden Systems, sagt Welzer. Er nennt beispielhaft die Automobilindustrie, die Jahrzehntelang unbeirrbar auf Expansion und Export gesetzt habe. „Dabei heißt ihr Produkt eigentlich ‘Raumüberwindung’, und das muss nicht aus Blech sein und vier Räder haben!“
Möglichkeiten erfahren
Ich greife den Gedanken des Automobils mal auf und frage: Was ist eigentlich der Wert eines SUVs? Es nimmt Platz; Platz zum Gehen oder Radfahren, zum Spielen, um Blumen oder Bäume zu pflanzen. Seine Herstellung und der Betrieb kosten unwiederbringliche Ressourcen; jeder gefahrene Kilometer verkürzt die Lebenszeit unseres Planeten. Es bietet: eine flüchtige materielle Ersatzbefriedigung unerfüllter Bedürfnisse, die wir meistens gar nicht benennen können. Wo bleibt da das Wohl?
Nachhaltig zu leben, heißt auch, unsere eigenen Bedürfnisse zu erkennen und ehrlich zu benennen, ihnen Raum zu geben und sie zu befriedigen – etwa, so trivial das klingt, bei einem erholsamen Spaziergang im Wald. Warenkonsum, das werden die meisten von uns schnell merken, wenn wir auch nur kurz innehalten, bringt in den seltensten Fällen wahre Befriedigung – sonst müssten wir ja nicht andauernd etwas Neues kaufen. „Nachhaltigkeitskommunikation“ ist folglich nicht das Predigen angeblich schmerzlichen Verzichts auf lieb gewonnenen Wohlstand, sondern: darüber zu reden, wie wir unsere Umwelt gemeinsam schöner, gesünder, lebenswerter gestalten.
Menschen tun sich schwer mit Veränderungen, insbesondere, wenn der veränderte Zustand ihnen unbekannt ist. Deshalb wünsche ich mir mehr experimentelle Räume im Alltag, in denen wir erfahren können: Wie fühlt sich unsere Zukunft an? Was essen wir? Wie bewegen wir uns fort, wie wohnen wir? Wie gewinnen wir nutzbare Energie? Auch Mojib Latif denkt darüber nach, wie Menschen positive Erfahrungen mit einer nachhaltig gestalteten Umwelt machen können. „Ich habe schon überlegt, Planetarien dafür zu nutzen“, sagt er, um mögliche Welten virtuell erlebbar zu machen. Und ganz real kann ich nur jeder und jedem empfehlen, ab und zu innezuhalten, unter einem Baum Erholung zu finden und sich darüber klar zu werden, was mir wirklich wichtig ist – heute, morgen, für mich, meine Mitmenschen und unseren Planeten.
Eine Aufzeichnung der Diskussion mit Latif, Welzer und anderen gibt es hier zum Anschauen: https://www.volkswagenstiftung.de/aktuelles-presse/mediathek/prominent-ignoriert-50-jahre-grenzen-des-wachstums
Zu der Diskussion eingeladen hatte die Volkswagenstiftung, Stiftung zur Wissenschaftsförderung, die die ursprüngliche Studie 1972 finanziert hat.
Mojib Latif: Professor am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung GEOMAR, Präsident der Deutschen Gesellschaft des Club of Rome
https://www.geomar.de/mlatif
Harald Welzer: Direktor von FUTURZWEI. Stiftung Zukunftsfähigkeit, Professor an der Europa-Universität Flensburg
https://www.uni-flensburg.de/nec/ueber-uns/personen/mitarbeiterinnen-mitarbeiter/harald-welzer