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In diesen Tagen ist die Expertise von Wissenschaftlern so gefragt in der Bevölkerung wie selten. Lücken und Schwächen im Informationsfluss werden sichtbar. Eine Herausforderung für Journalisten und Akteure der Wissenschaftskommunikation. Und eine Chance, eine neue Haltung zu entwickeln. Es geht ums Trauen: sich trauen, vertrauen, zutrauen.

 

Über meinen Beitrag zur Wissenschaftskommunikation in der Coronakrise kam ich ins Gespräch mit einer Journalistin. Sie betont, dass Massenmedien wie Tageszeitungen und Fernsehen gerade in Krisenzeiten wichtig seien, um ihren Lesern verlässliche, wissenschaftlich fundierte Informationen zu liefern. „Dafür muss die Wissenschaft allerdings auch Wert auf den Austausch mit Journalisten legen“, sagt die erfahrene Redakteurin einer deutschen Lokalzeitung. Sie mache bisweilen die Erfahrung, dass Gesprächspartner eher misstrauisch seien und ihr nicht genug Sachverstand zutrauten. „So mancher Forscher oder Pressesprecher denkt sich: Das rallt die doch eh nicht“, erzählt sie. Dabei hat sie, ganz nebenbei gesagt, selber einen wissenschaftlichen Hochschulabschluss. Redaktionen bräuchten dringend Wissenschaftler, die sich auf den Dialog mit Journalisten einlassen. Die in ihnen kompetente Ansprechpartner sehen, denen sie zutrauen, Forschungsinhalte sachlich richtig wiederzugeben – wenn auch in einer für Forscher ungewohnten Sprache. Und gerade Kommunikatoren wie die Pressesprecher von Forschungseinrichtungen sollten sich als Brückenbauer betätigen und ihre Zuhörer, die Journalisten, dabei nicht unterschätzen. Brücken baut zum Beispiel auch das vom Journalisten Volker Stollorz gegründete Science Media Center, das Journalisten kuratiertes Fachwissen aus (Natur-)Wissenschaft und Technik liefert.
Tageszeitungsleser suchen in Krisenzeiten nach verlässlichen Informationen mit Relevanz für ihr tägliches leben. „Natürlich kann jeder sich die Daten des Robert Koch-Instituts oder der Gesundheitsämter ansehen“, so die Redakteurin. „Aber die Leser wollen von mir wissen, wie sie sich verhalten sollen!“ Dass ihnen das nicht immer einfach zu sagen ist, zeigt schon das Thema Mundschutz in der Coronakrise. Der in diesen Tagen viel gehörte Virologe Christian Drosten sagt sinngemäß: „Näht Euch einen Mundschutz und tragt ihn in der Öffentlichkeit als Zeichen der Höflichkeit den Mitmenschen gegenüber.“ Die WHO rät der Allgemeinheit vom Tragen eines Mundschutzes ab. 
Beide Ansagen stammen aus vertrauenswürdigen Quellen und haben ihre Berechtigung. Eine selbstgenähte Maske zu tragen, bietet Mitmenschen einen gewissen Schutz, falls ich selber infiziert bin. Gesunden Menschen bieten Masken im Alltagsleben eher keinen nachweisbaren Schutz. Das Hantieren damit, so argumentiert die WHO, berge eher noch Risiken, sich dabei zu infizieren. Außerdem werden die wenigen verfügbaren Masken dringend in Kliniken und Pflegeeinrichtungen benötigt. 
Aufgabe des Journalisten ist, die verschiedenen Blickwinkel zu beleuchten, Quellen anzugeben und die Aussagen einzuordnen. Verlässliche Information aus vertrauenswürdiger Quelle ist eben nicht zu verwechseln mit einfachen Aussagen und mündet nicht zwangsläufig in klare Handlungsanweisungen. Der Versuch, sie zu einer solchen zu kondensieren, wäre unverantwortlich. Die Entscheidung, Mundschutz zu tragen oder nicht, bleibt bis auf weiteres dem Leser überlassen. Ihm dürfen wir, als Berichtende, die Kompetenz zutrauen, die Information und gegebenenfalls die Einschätzungen, die wir ihm liefern, für sein individuelles Leben zu interpretieren. Oder, um noch einmal Julika Griem zu zitieren: Wir dürfen, müssen unser Publikum manchmal auch „zärtlich überfordern.“

Links zum Thema:

Science Media Center: https://www.sciencemediacenter.de/das-smc/
Christian Drosten im NDR Corona-Update: https://www.ndr.de/nachrichten/info/podcast4684.html
Stimmen in der Mundschutz-Debatte sammelte z.B. Valerie Krb auf kurier.at: https://kurier.at/chronik/welt/who-raet-davon-ab-mundschutz-zu-tragen/400797812
Julika Griem: „Zumutungen. Wissenschaftskommunikation und ihre Widersprüche“
 https://www.dfg.de/download/pdf/dfg_im_profil/reden_stellungnahmen/2018/181107_keynote_fwk18_griem.pdf

A propos: Korinna Hennig im @NDRinfo #CoronaVirusUpdates: Wir Journalisten können lernen, dass wir unser Publikum ernst nehmen müssen und auch bereit sein, ihm gelegentlich etwas zuzumuten – wie auch @c_drosten es sich traut